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O-Bus in Potsdam Schluß, aus und vorbei?

Der 22. Januar 1995 könnte zum schwarzen Tag der Potsdamer Verkehrsgeschichte werden: Mit der offiziell letzten Fahrt eines Skoda-0-Busses wurde an diesem Sonntag der Potsdamer Oberleitungsbus in den Ruhestand geschickt. Ob nun einstweilig oder endgültig, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Die Kommunalpolitiker haben es sich einfach gemacht und verkehrspolitische Grundsatzentscheidungen de facto an den Potsdamer Verkehrsbetrieb delegiert.

Die Ausgangslage ist wenig mutmachend. Das gegenwärtig aus zwei Linien (690, 691) bestehende O-Busnetz in Potsdam kann oder könnte nur überleben, wenn umfangreiche Investitionen getätigt werden. Die Fahrleitungsmaste sind fast durchweg auswechslungsbedürftig, die Stromversorgung muß modernisiert werden. Erneuert werden müssen ebenfalls die 1983 gebauten OBusse des Typs Skoda 14 Tr, die sich in in den letzten Einsatztagen nicht gerade im besten Zustand befanden. Lediglich ein Wagen (976) wurde im vergangenen Jahr für 90.000 DM aufgearbeitet (die Überholung weiterer Fahrzeuge wäre übrigens beim Hersteller für weitaus weniger Geld möglich - und das bei besserer Qualität als zum Zeitpunkt ihrer Fertigung).

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Für die offizelle Abschiedsfahrt setzte der ViP den Wagen 976 ein (links, Marke Skoda), der erst 1994 für 90.000 DM aufgearbeitet worden war. Nach der nun erfolgten Außerdienststellung aller O-Busse der Marke Skoda stehen dem Verkehrsbetrieb nur noch die beiden Duo-Busse, Marke Daimler Benz, zu Verfügung (rechts), die 1993 nach der Unterbrechung der Oberleitung am Bf Drewitz beschafft wurden. Foto: Marc Heller

Die gegenwärtige Netzstruktur mit zwei Linien hängt mit der Elektrifizierung der über Drewitz führenden Eisenbahnstrecke für den ICE zusammen. Auf eine technisch zwar mögliche, aber nur äußerst aufwendig zu realisierende Kreuzung der Fahrleitungen von und Eisenbahn am Bahnhof Drewitz wurde verzichtet (eine Brücke wird auf sich warten lassen). Man entschloß sich stattdessen, die entstehende Lücke mittels neu beschaffter Duo-Busse zu überbrücken. Zwei Wagen konnten mit Landesmitteln (ca. 3 Mio DM, Marke Daimler-Benz) beschafft werden. Daraus resultierte die Aufteilung der früheren Linie 691 in eine reine O-Bus-Linie 691 Bahnhof Drewitz - Babelsberg-Nord und die überlappende Duo-Bus­Linie 690 Goethestraße - Steinstraße. Sie fährt mit drei, im Berufsverkehr fünf Umläufen, so daß hier mindestens ein bzw. drei Dìeselbusse permanent vertreten waren.

Die Situation wurde zum Ende vergangenen Jahres mehr als kritisch, da Entscheidungen zu fälligen lnvestitionen für die Fahrleitungsanlage (schätzungsweise l,5 bis 4 Mio DM), zur Überholung der alten Fahrzeuge (350.000 DM) und langfristig für einen zeitgemäßen Betriebshof anstanden. In der Stadtpolitik wurde, ausgehend von der gegenwärtig ein Inseldasein führenden O-Bus­-Stammstrecke, die prinzipielle Frage nach Straßenbahn oder O-Bus gestellt. Dem allgemeinen Trend folgend, sollten in der Stadt Investitionen lediglich einen Verkehrsträger mit Bedarf an zusätzlicher Infrastruktur erfolgen. In diesem Sinne wurde zugunsten des Straßenbahnausbaues auf eine Stillegung der O-Bus-Anlage zum I8. Dezember 1994 orientiert.

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Foto: Frank Lammers
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"... mit klarem Blick in die Zukunft", dafür fehlten den Potsdamer Politikern offensichtlich die richtigen Brillen. Denn viele Bewohner der Stadt empfinden das, was die AG Traditionsbus zur O-Bus-Abschiedsfahrt unübersehbar auf ihren Doppeldecker schrieb: "Potsdam braucht den ÖK(O-BUS)" Foto: Marc Heller

Nach harten öffentlichen Auseinandersetzungen faßten die Stadtverordneten am 14. Dezember zu später Stunde mit 19 zu 18 Stimmen den Beschluß, den O-Bus in Babelsberg weiter zu betreiben. Der Witz hierbei war, daß dem verbalen Bekenntnis zu dem ökologisch vorteilhaften und weitaus mehr Sympathien als Dieselbusse genießenden O-Bus keine Taten folgten. Denn der Haushaltsentwurf für 1995 sah trotz des oben genannten Beschlusses keine Mittel für dieses System vor. Zwar wurde der Verkehrsbetrieb aufgefordert, ein Sofortprogramm zur Erhaltung des Betriebes aufzustellen, alle anfallenden Kosten sollte er aber selber tragen. Diese Forderung war natürlich nicht erfüllbar, so daß der Verkehrsbetrieb das ungeliebte Anhängsel O-Bus nun auf kaltem Wege "entsorgte". lm Laufe des 16. Januar l995 wurden alle Fahrzeuge einer Prüfung durch die DEKRA unterzogen, der ausnahmslos die sofortige Stillegung folgte. Mit fadenscheinigen Begründungen: fehlende Nummernschildbeleuchtung, fehlende Hinweise auf Verbandskasten und Feuerlöscher. Zuvor wurde derartiges nie beanstandet. Zwar verweist schon der optische Zustand der Wagen auf die dringende Notwendigkeit einer Instandsetzung. Ob aber die überstürzte Außerdienstslellung mit rechten Dingen zuging, bleibt zu bezweifeln

Das Netz bleibt zwar offiziell bestehen, und die beiden fast neuen sollen weiter "am Draht" fahren, aber daß dieser Zustand lange durchgehalten wird, ist angesichts der bisherigen Praxis zu bezweifeln. Bis März 1995 soll es ein Verkehrsentwicklungsplan geben, in dem die weitere Entwicklung des gesamten Potsdamer Nahverkehrs festgeschrieben wird. Bis dahin soll zumindest von einer Demontage der gesamten Anlage abgesehen werden. Was dann geschieht, bleibt abzuwarten.

Gab es keine Alternativen?

Es stellt sich die Frage, ob es nicht Alternativen zu diesem Pokerspiel zwischen Stadt, Verkehrsbetrieb und sensibler öffentlicher Meinung gegeben hätte. Gewiß, die Strecken- und Betriebshof-Sanierung würde Investitionen bedeuten, die aus betriebwirtschaftlicher Sicht den abgasfreien Busverkehr mit zusätzlichen Abschreibungen verteuern. Andererseits würden Stadt, Land und Bund mit neuen, modernen Skoda-O-­Bussen (mit Hilfsmotor) finanziell günstiger fahren, als mit aufwendigeren Dieselbussen aus namhafter deutscher Produktion (einschließlich Wartungsverträgen). Man ist vielerorts offensichtlich bereit, für letztgenannte Fahrzeuge sehr großzügig knappe öffentliche Gelder zu aktivieren. Es sei der Hinweis gestattet, daß auch modernste deutsche Technik auf schlechten brandenburgischen Straßen eher "klappert" als auf gut asphaltierten Pisten im Musterländle (der "gute Stern" fiel mehrfach durch Rahmenbrüche oder lose Fensterscheiben auf). Viele Fachleute favorisieren daher die robusten osteuropäischen Fabrikate wegen der angepaßteren Technik. Auch diese Hersteller haben inzwischen besseres zu bieten als in früheren Tagen mit minderwertigem Stahl und mangelndem Korrossionsschutz. Wer wagt nun den Anfang für ein gesundes Mittelmaß zwischen einer Fahrzeugherstellung in Osteuropa und einer Fahrzeugausstattung in Deutschland? Und wer trägt Sorge dafür, daß günstige Finanzierungsinstrumentarien den Landeskassen besser täten, würden sie für preiswertere Fahrzeuge genutzt?

Eine Prioritätensetzung zugunsten des O-Busses bietet sich für Potsdam an. Der Kulturstadt darf es keinesfalls genügen, über viele Anziehungspunkte ohne Bezug auf deren umweltverträgliche Erreichbarkeit zu verfügen. Statt den Kulturgenuß in den Abgasschwaden des Individualverkehrs zu vernebeln, sollte man hier anspruchsvoller sein. 22 Zustiegsmöglichkeiten zum überhaupt nicht anrüchigen O-Bus-Verkehr sind im sehenswerten Babelsberg sowie in Drewitz eine Option für einen kultivierten Stadtverkehr, die niemand achtlos vernichten darf! Und das alles ohne Konkurrenzsituation zur weiterhin eine wichtige Rolle spielenden Straßenbahn.

Bei den auf den ersten Blick erschreckend hoch erscheinenden Investitionskosten müssen aber auch die volkswirtschaftlichen Auswirkungen beachtet werden - bis hin zur Schonung von Baudenkmälern durch die Verringerung von aggressiven Abgasen. Ferner relativieren sich die Kosten für Fahrdraht und Betriebshofsanierung angesichts der vielen Millionen DM, die in Potsdam jährlich für den Straßenbau ausgegeben werden - ohne daß hier jemals eine Wirtschaftlichkeitsberechnung gemacht würde.

Gute Gründe für den O-Bus

Wie bereits herausgearbeitet, bedeutet der Erhalt des Systems in der brandenburgischen Landeshauptstadt die Bereitschaft zu Investitionen in den Infrastrukturbereich. Vordergründig betrachtet könnte es dem Fahrgast gleichgültig sein, ob auf dem heranrollenden Transportgefäß Stangen sind oder ob ein Dieselmotor für Bewegung sorgt. Dennoch verzeichnet der O-Bus eine höhere Attraktivität, ablesbar an zumeist höheren Fahrgastzahlen im Vergleich zum Dieselbus. Und es gibt einen Trend hin zu elektrischen Antrieben, ablesbar an den Neuentwicklungen in der Fahrzeugindustrie und unabhängigen Forschungsprojekten.

Das Argument der Umweltfreundlichkeit wird oft gebraucht, soll aber auch hier nicht fehlen. Denn für weitaus mehr erbrachte Leistung muß weitaus weniger Energie zugeführt werden. Gewiß verschmutzt ein Kohlekrafìwerk die Umgebung, aber durch neue Technik wurde und wird die Luftbelastung pro gewonnener Energieeinheit kontinuierlich abgebaut, sehr viel schneller und wirksamer als beim Dieselmotor im Fahrzeug. Die Elektroantriebe bieten geräuscharmes Fahren, zügiges und ruckfreies Beschleunigen, Steigungen werden problemlos bewältigt, und beim Bremsen auftretende Energie kann zurückgespeist werden. Die für stehende Fahrgäste immer noch akzeptablen hohen Beschleunigungswerte ermöglichen bei entsprechender Netzausdehnung die Reduzierung des Fahrzeug- und Personaleinsatzes gegenüber Dieselbussen.

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Am . Januar stand Wagen 976 noch einmal im Mittelpunkt des Interesses. Foto: Marc Heller
O-Busse
Auch die anderen, ebenfalls nur 12 Jahre alten O-Busse der Marke Skoda könnten nach einer Aufarbeitung wieder eingesetzt werden. Hinzu kommt, daß eine Überholung beim Hersteller für weitaus weniger als die bei Wagen 976 ausgegebenen 90.000 DM möglich wäre - und das bei besserer Qualität als zum Zeitpunkt der Fertigung. Foto: Marc Heller

Interessant sind Überlegungen eines Getriebeher­stellers, der ermittelt hat, daß bei der Herstellung von etwa 2000 E­-Antrieben pro Jahr ungefähr die gleichen Beschaffungskosten anfallen wie bei den üblichen hydromechanischen Antrieben. Dabei sinkt das Gewicht der im Bus eingebauten Kraftübertragungselemente; die erzielten Energieeinsparpotentiale liegen alleine dadurch bei 5 bis 21 Prozent. Hierbei spielt weiterhin eine Rolle. daß die mittlerweile hochgezüchtete Dieseltech­nologie beim O-Bus weitaus einfacherer Elektronik Platz macht und eine stufenlose und damit verlustärmere Leistungswandlung erfolgt. Auch nahmhafte Bushersteller beschäftigen sich ernst mit elektrischen Antrieben als zukunftsträchtige Alternative. Dieselelektrische Antriebe spielen kaum eine Rolle. da die installierte Leistung höher wäre als bei reinem Dieselbetrieb. Batteriebetrieb steht wegen der hohen Eigenmasse der marktüblichen Speichertechnik ebenfalls nicht zur Debatte. Was bleibt da noch? Richtig, der O-Bus!

Eines muß klar Sein: Bleibt es bei den gegenwärtig anderthalb Linien, hat der O-Bus in Potsdam keine Zukunft. da das geringe Betriebsergebnis die getätigten Aufwendungen nicht rechtfertigt. Es muß ernsthaft an einem flächendeckenden Regionalnetz gearbeitet werden, das nicht auf die gegenwärtigen Bedienungsgebiete der jeweiligen Verkehrsunternehmen (ViP und HVG) beschränkt bleiben darf und das auch nicht in Konkurrenz zu höherwertigen Straßenbahntrassen tritt. Ein solches erweitertes Netz kann gemäß den 1991 publizierten Überlegungen von ARGUS Teile der gegenwärtigen Buslinien 692 und 693 umfassen, muß aber ebenso in die Region gehen, insbesondere in Richtung Kleinmachnow und Teltow (Linien 601, 602). Der Ortsverkehr Teltow/Stahnsdorf verdient ebenfalls Beachtung. Das alles zusammen ergibt eine betriebswirtschaftlich sinnvolle Größe. Die Errichtung der Infrastruktur muß bzw. landespoli­tische Aufgabe sein, die Vergabe der Verkehrs leistungen gemäß EU-Richtlinien aufgrund von Ausschreibungen erfolgen. So können im Netz durchaus mehrere Anbieter operieren, das Verkehrsangebot einschließlich der Systemfrage bleibt aber frei von unternehmenspolitischen Erwägungen.

IGEB

aus SIGNAL 1/1995 (Februar 1995), Seite 4-6

 

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