Aktuell

IGEB-Forderungen zum neuen BVG-Unternehmensvertrag

Das Abgeordnetenhaus beauftragte durch einstimmigen Beschluß vom 3. Juni 1999 den Senat, für weitere acht Jahre einen Unternehmensvertrag abzuschließen, durch den die BVG mit der Erbringung von Nahverkehrsleistungen im U-Bahn-, Straßenbahn- und Busverkehr beauftragt werden soll.

Der neue Unternehmensvertrag soll auch dazu dienen, während seiner Laufzeit die BVG sozialverträglich zu restrukturieren und die Wettbewerbsfähigkeit bis 2007 herzustellen. Er ist auf der Grundlage des Berliner ÖPNV-Gesetzes und des Nahverkehrsplanes abzuschließen.

Der Berliner Fahrgastverband befürwortet diese Entscheidung auf der Grundlage des vorliegenden Abgeordnetenhaus-Beschlusses ausdrücklich, da insbesondere das als Alternative immer wieder diskutierte Holdingmodell mit der DB AG eine erhebliche Ausdünnung des Verkehrsangebotes vorsah.

Der Unternehmensvertrag ist bis Ende August abzuschließen

Der bisherige Unternehmensvertrag sah vor, daß bereits zum 31. Dezember 1998 das Verhältnis zwischen dem Land Berlin und der BVG ab dem 1. Januar 2000 zu regeln ist. Erst nachdem das Abgeordnetenhaus den Senat aufgefordert hat, den Unternehmensvertrag bis zum 31. August 1999 abzuschließen, sagte der Regierende Bürgermeister Diepgen den Abschluß eines neuen Unternehmensvertrages zu. Der Regierende Bürgermeister muß nunmehr zu seinem Wort stehen und dafür Sorge tragen, daß der Unternehmensvertrag bis Ende August 1999 abgeschlossen wird, weil der Vertrag vor Inkrafttreten von der EU notifiziert werden muß. Nicht auszuschließen ist jedoch, daß insbesondere die für ihre Verschleppungs- und Verzögerungstaktik in Sachen ÖPNV schon legendäre und hier federführende Senats-Verkehrsverwaltung nun erstmal in die Sommerpause geht und versucht den Vertragsabschluss - möglicherweise bis über den Wahltermin am 10. Oktober 1999 hinaus - zu verschieben.

Im Unternehmensvertrag müssen deutlich verbesserte Rahmenbedingungen für die BVG zugunsten eines deutlich effizienteren Betriebes vereinbart werden

Wichtigste Voraussetzung dafür ist die Beschleunigung von Straßenbahn und Bus. Die BVG hat detaillierte Untersuchungen vorgelegt, in welchen Straßen Busspuren angelegt oder andere Beschleunigungsmaßnahmen durchgeführt werden müssen. Die Berliner Straßenbahnen erreichen eine Reisegeschwindigkeit von gerade 17 km/h, und immer noch verzögert und verschleppt die Senats-Verkehrsverwaltung die überfällige Einführung von Vorrangschaltungen an Ampeln. Damit die BVG - im Interesse des Landeshaushalts und im Interesse der Fahrgäste - wirtschaftlich effizient arbeiten kann, müssen entsprechende Beschleunigungsmaßnahmen vertraglich gesichert werden.

Im Unternehmensvertrag ist eine finanztechnische Trennung zwischen Infrastrukturkosten und Kosten für den Betrieb der Verkehrsmittel vorzunehmen

Mit einer solchen Trennungsrechnung, bei der insbesondere die Vorhaltekosten für die Schienenstrecken der U- und Straßenbahn gesondert dargestellt werden, wird die Kostenstruktur im ÖPNV nachvollziehbarer, und sie dient der Kostenwahrheit im Verkehrsbereich.

Insbesondere die in den nächsten Jahren aufzubringenden, erheblichen Kosten zur Sanierung des U-Bahnnetzes müssen getrennt ausgewiesen werden und vom Berliner Senat getragen werden. Ebenfalls getrennt auszuweisen sind Aufwendungen für Ruhegeldempfänger sowie Beiträge zur Versorgungskasse.

Bei der Vertragsgestaltung sind Bonus-/Malusregelungen für den Fall von steigenden bzw. sinkenden Fahrgastzahlen zu vereinbaren

Um der BVG einen wirtschaftlichen Anreiz zu geben, sich verstärkt um neue Fahrgäste zu bemühen, sollten die zu vereinbarenden Zahlungen an die tatsächlichen Fahrgastzahlen geknüpft werden.

Der Umfang der zu bestellenden BVG-Verkehrsleistungen muß vom Land Berlin auf Basis des Nahverkehrsplanes gegenüber den bisher erbrachten Verkehrsleistungen um 5 bis 10 % gesteigert werden

U-Bahn

Mit der Inbetriebnahme von zwei U-Bahnstrecken ist zu rechnen:

  • U 2 vom U-Bf. Vinetastraße bis Bf. Pankow und
  • U 5 vom Bf. Alexanderplatz bis zum Lehrter Bahnhof.

Durch den Regierungsumzug und eine Nutzungsintensivierung, insbesondere im östlichen City-Bereich, ist mit einer deutlichen Zunahme des Fahrgastaufkommens zu rechnen. Taktverdichtungen im Berufsverkehr, mindestens auf der U2 und der U6, halten wir für erforderlich.

Straßenbahn

Tram-Haltestelle
Straßenbahn-Haltestelle am S-Bahnhof Pankow. Ob aus den 17 km/h durchschnittlicher Reisegeschwindigkeit bald etwas mehr wird? Foto: Frank Brunner, Mai 1999

Für die Laufzeit des Unternehmensvertrages ist laut Senatsbeschluß vom 18. Mai 1999 mindestens von der Inbetriebnahme folgender Streckenverlängerungen auszugehen, die dem Vertrag zugrundegelegt werden müssen:

  • Verlängerung von Revaler Straße bis U-Bahnhof Warschauer Straße,
  • Weiterführung vom Prenzlauer Tor über Karl-Liebknecht-Straße zum Alexanderplatz,
  • Verlängerung von Buchholz Kirche in das Wohngebiet Buchholz-West,
  • Köpenick, Müggelheimer Straße,
  • Anbindung der Wissenschaftsstadt Adlershof,
  • Streckenverlängerung Bernauer Straße - Invalidenstraße bis zum Lehrter Bahnhof,
  • Neubaustrecke vom Alexanderplatz über Spittelmarkt zum Potsdamer Platz.

  • Bus
  • Durch die vom Berliner Senat vorgesehenen Siedlungserweiterungen am Stadtrand (zum Beispiel Karow, Buchholz, Kladow) wird die Einrichtung neuer Buslinien erforderlich. Ebenso dringend ist eine Netz- bzw. Taktverdichtung in der Innenstadt (zum Beispiel fehlende ÖPNV-Verbindung Moabit - Regierungsviertel oder der völlig unzureichende 20- Minuten-Takt der (Regierungs-) City-Buslinien 142, 257 oder 348).

    Der BVG sollte es auch zukünftig möglich sein, einen Teil der (Bus-) Verkehrsleistungen durch Unterauftragnehmer erbringen zu lassen. Dies könnten vorrangig Verkehrsleistungen während der Schwachverkehrszeiten sein, die durch Kleinfahrzeuge bzw. Taxen sehr viel effizienter und fahrgastfreundlicher erbracht werden können.

    Der Berliner Fahrgastverband fordert den Senat auf, mit der BVG feste Qualitätsstandards zur Erbringung der Verkehrsleistungen zu vereinbaren. Verstöße gegen diese Vereinbarungen müssen zu finanziellen Sanktionen führen.

    Um ein attraktives Verkehrsangebot für die Fahrgäste sicherzustellen, ist unverzichtbar, Qualitätsstandards vertraglich festzuschreiben. Die im alten Unternehmensvertrag oder auch in den kürzlich mit der DB AG abgeschlosenen Verkehrsverträgen enthaltenen Regelungen sind diesbezüglich völlig unzureichend.

    Der Berliner Fahrgastverband hat die aus Fahrgastsicht wichtigsten Punkte im folgenden zusammengefaßt:

    Platzangebot

    Das Platzangebot soll so bemessen sein, daß der mittlere Besetzungsgrad in der Spitzenstunde in Lastrichtung 65 % nicht überschreitet. In der Normalverkehrszeit soll der Besetzungsgrad als Mittelwert über die Stunde 50 % nicht überschreiten.

    Für Fahrten über 10 Minuten Beförderungszeit soll jedem Fahrgast ein Sitzplatz zur Verfügung stehen.

    Die eingesetzten Fahrzeuge sollen einen Sitzplatzanteil von mindestens einem Drittel aufweisen.

    Anschlußsicherung

    An wichtigen Umsteigehaltestellen im Busnetz sind für die Hauptumsteigebeziehungen Anschlüsse fahrplanmäßig herzustellen (Ausnahme: bei Fahrplantakten unter 10 Minuten).

    Die Anschlußsicherung - auch zwischen unterschiedlichen Verkehrsmitteln oder -unternehmen - ist zu gewährleisten. Alle U-Bahnhöfe und Straßenbahn-Haltestellen sowie wichtige Bushaltestellen sind mit dynamischen Fahrgastinformationssystemen auszurüsten, so daß die Fahrgäste sofort über Betriebsstörungen informiert werden können.

    Anforderungen an bauliche Anlagen und Fahrzeuge

    Die baulichen Anlagen und Fahrzeuge sind fahrgastfreundlich zu gestalten. Mobilitätsbehinderte und Fahrgäste mit Kinderwagen sollen durch eine entsprechende Gestaltung der Fahrzeuge und der baulichen Anlagen die öffentlichen Verkehrsmittel ohne fremde Hilfe nutzen können.

    Die eingesetzten Fahrzeuge sollen die problemlose Beförderung von mindestens zwei Rollstuhlfahrern, zwei Kinderwagen oder zwei Fahrrädern ermöglichen (Ausnahme bei Einsatz von Taxen/Kleinbussen während der Schwachverkehrszeiten).

    Im Zuge der Sanierung von U-Bahnhöfen ist generell der nachträgliche Einbau von Aufzügen vorzusehen. Die Funktionsfähigkeit der technischen Anlagen ist regelmäßig zu überprüfen, Reparaturen sind binnen 24 Stunden durchzuführen.

    Die eingesetzten Fahrzeuge sollen deutlich als Linienfahrzeuge mit Liniennummer, Fahrziel und ggf. Laufweg erkennbar sein. In den Fahrzeugen sind Haltetellen anzusagen und mindestens ein Linienband mit Umsteigehinweisen zu installieren. Beim Einsatz von Kleinfahrzeugen ist im Fahrplan darauf hinzuweisen.

    In den baulichen Anlagen und den eingesetzten Fahrzeugen ist der Einsatz von akustischen Werbemedien auszuschließen. Die eingesetzten Fahrzeuge sollen hinsichtlich ihres Energieverbrauchs, ihrer Schadstoff- und Lärmemissionen dem neuesten Stand der Technik entsprechen.

    Anforderungen an das Personal

    Das von der BVG eingesetzte Personal ist hinsichtlich des Gesamtverkehrs- und Tarifangebotes des VBB zu qualifizieren. Hinsichtlich des Umganges mit Fahrgästen sind durch regelmäßige Schulungen die Voraussetzungen für ein kundenorientiertes Verhalten des Personals zu schaffen.

    Fahrgastsicherheit

    Alle U-Bahnhöfe sind auch während der Schwachverkehrszeiten mit Personal zu besetzen sowie mit entsprechenden technischen Einrichtungen auszustatten (SOS-Melder, ggf. Kameraüberwachung auch von Zugängen). Zusätzliches Sicherheitspersonal ist insbesondere während der Schwachverkehrszeiten in Abstimmung mit der Polizei in den Zügen einzusetzen.

    Das Sicherheitspersonal ist hinsichtlich des Umganges mit Fahrgästen auszubilden und soll auch für Verkehrs- und Tarifauskünfte zur Verfügung stehen.

    Pünktlichkeit

    Es ist zu gewährleisten, daß die fahrplanmäßig vorgesehenen Verkehrsleistungen zuverlässig und pünktlich erbracht werden.

    Für die U-Bahn ist ein Pünktlichkeitsgrad von > 97 % sicherzustellen. Im Falle von Betriebsunterbrechungen im U- oder Straßenbahn-Netz muß - sofern keine anderen Umfahrungsmöglichkeiten im Bahnnetz möglich sind - nach höchstens 30 Minuten ein Schienenersatzverkehr mit Bussen eingerichtet sein.

    Bei Ausfällen von Bussen muß innerhalb von 20 Minuten ein Ersatzfahrzeug eingesetzt werden.

    Sauberkeit

    Die U-Bahnhöfe sind täglich zu reinigen. Grobe Verunreinigungen sind durch das Aufsichtspersonal sofort zu entfernen. Die Fahrzeuge sind mehrmals täglich zu säubern, täglich zu fegen und zu wischen, eine Grundreinigung hat mindestens monatlich zu erfolgen. Eine Außenwäsche der Fahrzeuge muß mindestens wöchentlich durchgeführt werden.

    Fahrkartenverkauf

    In den Fahrzeugen und auf den Bahnhöfen muß der Erwerb von Einzelfahrscheinen und Tageskarten für das Berliner Verkehrsgebiet und den engeren Verflechtungsbereich (ABC) möglich sein.

    Nach Vereinfachung des VBB-Bartarifes müssen Einzelfahrkarten und Tageskarten für das gesamte Verbundgebiet in den Fahrzeugen bzw. auf allen U-Bahnhöfen verkauft werden. Darüber hinaus ist der Erwerb von Zeitkarten an allen wichtigen Umsteigepunkten zu gewährleisten. Ferner soll ein dichtes Netz von privaten Verkaufsstellen eingerichtet werden.

    IGEB

    aus SIGNAL 5/1999 (August 1999), Seite 4-6

     

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