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Sechs Monate VBB-Tarif: Mogelpackung mit politischer Billigung

Da werden insbesondere Kinder und Schüler in unsozialer Manier abkassiert, Behinderte (Blinde mit Tandems) ausgegrenzt und Fahrgäste als Schwarzfahrer behandelt, nur weil sie nicht in der Lage waren, die untauglichen Automaten zum Verkauf eines Fahrscheins zu überreden.

Der für dieses Tohuwabohu Verantwortliche tingelt derweil durch das Land Brandenburg und lobt sich, wie toll doch das Tarifsystem angenommen werde - man habe ja kaum Beschwerden erhalten. Kunststück, ist doch der VBB grundsätzlich nicht erreichbar ...

Bei den betroffenen Verkehrsunternehmen, die derweil an der „Verkaufsfront" stehen, da sie Kundendiensteinrichtungen haben (im Gegensatz zum VBB), stapeln sich derweil die Beschwerden. Von der BVG war zu erfahren, daß wochenlang paketweise Briefe an den VBB weitergeschickt wurden (die der VBB dann vermutlich einfach als eine Beschwerde, nämlich der BVG, gezählt hat).

Der Verkehrsverbund in seiner gegenwärtig fahrgastfeindlichen Konstruktion ist die mißratene Umsetzung des im Einigungsvertrag vorgegebenen Willens der Politik. Er widerspricht dabei auch in eklatanter Weise den Ankündigungen der beiden beteiligten Landeschefs Stolpe und Diepgen: „Voraussetzung für den Kauf eines Tickets darf nicht ein bestandenes Abitur sein."

Tarifinfoaushang
Fahrgäste machen ihrem Ärger Luft. Gesehen im Bahnhof Trebbin. Foto: Jakob Meier

Ärgerlich sind die in und um Berlin erfolgten Preissteigerungen, bei denen auch die verantwortlichen Politiker keinerlei schlechtes Gewissen zu haben scheinen.

So erkannte Landrat Giesecke (Teltow-Fläming), der gleichzeitig VBB-Aufsichtsratsvorsitzender ist, ein „Wohlstandsmaximum" im Berliner Raum, das es abzuschöpfen gelte. Flugs wurden die Tarife erhöht, und sei es nur durch den Neuzuschnitt der Berliner C-Zone. Inwiefern Schüler und Auszubildende in Berlin überraschend zu Wohlstand gekommen sein mögen, bleibt dabei sein Geheimnis.

Und so häufen sich Unlogik und Ungerechtigkeit und gehen eine unschöne Verbindung ein. Ursprünglich wollten zum Beispiel die „Sachverständigen" auch die ins Umland führenden S-Bahn-Strecken in Salamistücke („Waben") zerlegen. Das konnte die S-Bahn GmbH verhindern. Pech für die Städte, die genausoweit entfernt liegen wie Oranienburg oder Strausberg, aber keinen S-Bahn-Anschluß besitzen. So dürfen sich die Fahrgäste in stündlich verkehrenden, oft überfüllten Regionalzügen drängeln, und auch noch mehr bezahlen (Berlin ABC+ Landkreis). Das nennt man Gerechtigkeit!

Ein besonderes Schmankerl hatte sich der VBB für Blinde ausgedacht, die mit Begleitung auf Tandems unterwegs sind. Deren Beförderung hatte der Verbund nicht vorgesehen. Auch hier wurde die S-Bahn aktiv und sorgte inzwischen dafür, daß die Beförderungsbestimmungen angepaßt werden.

Über die Komplexität des Wabentarifsystems wurde schon viel berichtet. Die BVG-Automaten können diesen Aberwitz gar nicht verkaufen - die BVG bekommt aber auch kein Geld zur Nachrüstung oder zum Austausch. Aber auch die vielgelobten, sündhaft teuren Automaten von DB Regio sind nicht in der Lage, alle Fahrscheine zu verkaufen. Versuchen Sie mal, in Fürstenwalde ein Ticket nach Berlin für den nächsten Tag zu erwerben... Oder kaufen Sie in Nauen einen Fahrschein von Hennigsdorf nach Templin - das geht alles gar nicht. Der Wabentarif ist so kompliziert, daß keiner der gegenwärtig in Serie gefertigten Fahrkartenautomaten damit zurechtkommt. Das hindert natürlich DB Regio in keiner Weise, von Fahrgästen „Nachlösegebühr" zu verlangen oder gar ein „Erhöhtes Beförderungsentgelt" anzudrohen, wenn diese kein passendes Ticket kaufen konnten.

IGEB-Sammlung im Internet

Zahlreiche Beispiele, herausgefiltert aus kritischen Stellungnahmen von Fahrgästen, finden Sie im Internet auf unserer Homepage http://www.igeb.org. Diese Sammlung führt die Behauptung des VBB ad absurdum, der Tarif sei gerecht, nachvollziehbar und praktikabel.

An die Politik ergeht unsere Aufforderung, dem Treiben des VBB Einhalt zu gebieten und in einen Dialog mit den Fahrgästen einzutreten. Beides ist bitter notwendig!

IGEB

aus SIGNAL 6/1999 (September 1999), Seite 4

 

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