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Sicheres Reisen im Fernverkehr: Bahn oder Bus?

Die Welle der Busunglücke scheint nicht abzureißen. In den Medien wird in der letzten Zeit häufig über verunglückte Fernbusse, zumeist eingesetzt im weitlaufenden Tourismusverkehr, berichtet. Verunsichert fragen sich viele Fahrgäste: Sind Fernbusse noch sicher? Ist es angesichts des gut gut ausgebauten Bahn- und Flugangebotes überhaupt noch sinnvoll, sich für den Fernbus als Verkehrsmittel zu entscheiden?

Sicherheit: Unfallstatistik bewusst missinterpretiert?

Geht man nach den Lobby-Verbänden der Fernbustouristik, so stellt sich die Situation ganz anders als in den Medien verbreitet dar: „Der Bus ist in Deutschland das sicherste Verkehrsmittel", so der Präsident des Internationalen Bustouristik Verbands. Und auch der Gesamtverband Verkehrsgewerbe Niedersachen e.V. veröffentlichte noch vor wenigen Tagen einen Beitrag der dem Bus die größte Sicherheit überhaupt bescheinigt. Die Buslobbyisten stützen sich hierbei auf Angaben zu den Verkehrstoten des Statistischen Bundesamtes, wonach beispielsweise im Jahr 2000 folgende Werte ermittelt wurden [Verkehrstote je Mrd. Personenkilometer]:

  • Bus 0,12
  • MIV (Pkw) 7,52
  • Bahn 3,28
  • Flugzeug 1,10

Es soll hier keinesfalls die Arbeit des Statistischen Bundesamtes angezweifelt werden. Doch können solche Zahlen eine Aussage nur dann erhärten, wenn sie richtig interpretiert werden.

Im vorliegenden Fall ziehen die Fernbus-Befürworter einen bezogen auf die Gesamtheit aller Busverkehre ermittelten Wert heran, um die Sicherheit ihres Verkehrssegmentes zu untermauern. Der überwiegende Busverkehrsleistungsanteil wird jedoch im ÖPNV erbracht, der bekanntermaßen als sicher einzustufen ist. Oder haben Sie schon einmal von einem am Steuer eingeschlafenen Busfahrer einer städtischen Nahverkehrslinie gehört? Somit „schmücken" sich die Fernbusse mit einem Wert, der nur aufgrund der vergleichsweise sicheren ÖPNV-Leistungen so niedrig sein dürfte.

Auf der anderen Seite dürfte Sie vielleicht der hohe Bahnwert nachdenklich stimmen. Hier ist es allerdings so, dass die häufigsten Unfälle im Bahnverkehr letztlich durch den Straßenverkehr verschuldete Zusammenstöße an Bahnübergängen darstellen. Und diese Unfälle werden in der Statistik der Bahn zugeschlagen. Wenn Sie die täglichen Nachrichten aufmerksam verfolgen, werden Sie sicherlich feststellen, dass bei diesen Zusammenstößen in der Regel straßenseitig zahlreiche Tote und Verletzte zu beklagen sind, während die Bahn meistens mit geringen Personen- und Sachschäden davon kommt.

Die herangezogen Werte des Statistischen Bundesamtes bedürfen somit entsprechender Differenzierungen, um tatsächlich als Beleg für die Sicherheit des Fernbusverkehrs dienen zu können.

Sicherheitsmaßnahmen und ihre Grenzen

Seitens der Fernbuslobbyisten werden auf folgende Aspekte zur Bussicherheit hingewiesen:

  • Zuverlässigkeit des Busunternehmers: Wird alle vier Jahre überprüft.
  • MPU (medizinisch-psychologische Untersuchung): Busfahrer müssen sich ab dem 50sten Lebensjahr alle fünf Jahre einer eingehenden medizinischen Untersuchung hinsichtlich Orientierungsleistung, Konzentrationsfähigkeit, Belastbarkeit und Reaktionsgeschwindigkeit unterziehen. Damit würde ein Höchstmaß an Sicherheit garantiert.
  • Gurte: Ab dem 1. Oktober 2001 müssen alle erstmals in den Verkehr kommenden Reisebusse mit Gurten ausgerüstet sein. Allerdings muss der Busfahrer nicht zum Anlegen der Gurte auffordern. Gurtsymbole an den hinteren Sitzlehnen sind ausreichend.
  • Bremssysteme: Moderne Reisebusse verfügten über drei voneinander unabhängige Bremssysteme - einer Radbremse mit ABS, einer zusätzlich verstärkten Motorbremse sowie einer verschleißfreien „Retarder"-Bremse. Zudem gäbe es Tempobegrenzer, die bei 100 km/h abriegeln und im Vergleich zum Pkw häufigere technische Untersuchungen.

Lässt man nun noch einmal die jüngsten Busunglücke Revue passieren, so wird klar, dass diese Maßnahmen und technischen Einrichtungen nicht ausreichen, um den Risikofaktor Mensch auszuschalten. Letztendlich ist die Übermüdung der Busfahrer eine entscheidende Unfallursache, die auch bei vollkommen gesunden und gut ausgebildeten Fahrern nicht ausgeschaltet werden kann.

An dieser Stelle ist die Bahn ganz klar im Vorteil. Die Wachsamkeit des Triebfahrzeugführers wird durch sog. Sicherheitsfahrschaltungen ständig überprüft. Schläft der Lokführer ein oder lässt die Wachsamkeit aus anderen Gründen nach, so wird der Zug automatisch zwangsgebremst - ohne Gefahr. Durch das Blocksystem, verbunden mit Zugbeeinflussungstechniken, ist ein Auffahrunfall bei der Bahn nahezu ausgeschlossen.

Es ist ein erklärtes Ziel der Bundesregierung, die Wettbewerbsbedingungen der einzelnen Verkehrsträger anzugleichen. Der DBV ist der Auffassung, dass der Aspekt der Sicherheitsvorschriften hier nicht außen vor bleiben darf. So müssten Vorschriften und Maßnahmen im Busverkehr ergriffen werden, die denen der Eisenbahn ähnlich sind. Wie diese Maßnahmen aussehen müssten, kann hier nicht aufgezeigt werden. Eine Zwangsbremsung eines Busses bei nachlassender Wachsamkeit des Busfahrer wäre sicherlich eher eine zusätzliche Gefahrenquelle als ein Sicherheitsgewinn. Vielleicht würde eine ständige Überprüfung der Lidfrequenz des Busfahrers einen Ansatz bilden, um schon vor Eintreten einer gefährlichen Übermüdung entsprechende Warnsignale zu erzeugen. Eine solche Technik wird zum Einsatz für Pkws entwickelt: Mit Kameras werden die Augenpartien des Fahrzeugführers aufgenommen und über einen Computer ausgewertet; auf eine Übermüdung deutet eine entsprechende Veränderung der Lidfrequenz hin.

Selbst wenn man unterstellt, dass die Dienstpläne der Busfahrer den gesetzlichen Bestimmungen entsprechend erstellt werden - was bei einer Vielzahl „schwarzer Schafe" leider nicht der Fall ist - so muss bei jeder Fernfahrt mit einer Verlängerung der planmäßigen Fahrzeit gerechnet werden: Grenzaufenthalte, Staus, technische Pannen am Fahrzeug usw. Außerdem kann auch dem besten und routiniertesten Busfahrer einmal zwischendurch unwohl werden.

Es ist daher zu fordern, ob bei Fernfahrten nicht generell ein zweiter Fahrzeugführer vorgeschrieben werden müsste, der dann allerdings auch eine entsprechende Ruhemöglichkeit im Fahrzeug vorfinden müsste. Nur so kann bei langen Fahrten sichergestellt werden, dass der jeweils aktive Fahrzeugführer ausgeruht und fahrtauglich ist.

Strengere Kontrollen sind zu fordern, die auch mit Konsequenzen verbunden sein müssen. So fordert auch der Gesamtverband Verkehrsgewerbe Niedersachsen e.V.: "... Viel stärker in die Verantwortung nehmen müssen wir allerdings auch die staatlichen Stellen. So bringen strenge Kontrollen allein wenig, wenn nicht bei schwerwiegenden Verstößen durch drastische Maßnahmen die Unternehmen vom Markt entfernt werden, die sich nicht an die gesetzlichen Vorschriften halten. Noch immer fällt es schwarzen Schafen leicht - z.T. über Mittelsmänner - wiederholt eine Lizenz zu erhalten und mit Dumpingpreisen einen fairen Wettbewerb zu zerstören."

Sind die Fahrgäste selbst schuld? In der öffentlichen Diskussion wird seitens der Busse die These vertreten, es sei nicht zu verantworten, wenn Organisatoren versuchen, den Preis für die Busreise zu drücken. Damit gefährde der Besteller seine eigene Sicherheit, den Bestand seriöser Unternehmen und damit die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer (!), war zu lesen.

Offensichtlich haben die Buslobbyisten erkannt, dass die Luft dünn geworden ist. Die Verantwortung für die sichere und vertragsgemässe Beförderung trägt immer noch der Busunternehmer, auch wenn er einen günstigen Fahrpreis einräumt.

Sind Fernbusfahrten überhaupt notwendig? Nach Ansicht des DBV spricht gegenwärtig der oftmals geringe Fahrpreis und die umsteigefreien Verkehre für die Benutzung von Fernbussen. Aus Benutzersicht nachteilig sind jedoch die beschriebenen systembedingten Sicherheitsmängel, die langen Fahrzeiten und der geringe Komfort.

Allerdings muss nach Auffassung des DBV damit gerechnet werden, dass es bei Wirksamwerden weiterer Sicherheitsauflagen zwangsweise zu einer Erhöhung der Fahrpreise kommen wird. Im übrigen ist auch nicht nachvollziehbar, war um Busse von der Maut per Gesetz befreit wurden. Auch hier ist eine Korrektur geboten und würde zu einer Entzerrung des Wettbewerbs beitragen.

Wenn man bedenkt, dass gerade die Bundesschienenwege im hohen Maße öffentlich finanziert wurden und werden, so stellt sich generell die Frage, warum parallel laufenden Fernbussen offensichtlich freizügig die notwendigen Linienkonzessionen erteilt werden. Besonders kritisch soll hier angemerkt werden, dass die DB AG mit ihren Bustöchtern ihrem eigenen Schienenverkehr Konkurrenz macht, zum Beispiel in der Relation Berlin - Hamburg.

Ob ein weitgehendes Verbot von Fernbussen, wie von einigen Bahnpuristen gefordert, gerechtfertigt erscheint, bedarf sicherlich einer weitergehenden Diskussion. Sicher ist jedoch, dass es mit einem Bedauern der jüngsten Busunglücke und einigen „harten Worten" aus dem Munde des Bundesverkehrsministers Manfred Stolpe (SPD) nicht getan sein dürfte.

DBV Bundesverband

aus SIGNAL 3/2003 (Juni/Juli 2003), Seite 5-6

 

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