Berlin

Geplante BVG-Linienänderungen: Es wird weiter gespart

Am 28. Oktober 2003 fand im Fahrgastzentrum S-Bahnhof Jannowitzbrücke eine Informationsveranstaltung statt, auf der die zum 14. Dezember 2003 geplanten BVG-Linienänderungen von Frau Trettin, Herrn Senst und Herrn Untermann von der BVG einem interessierten Publikum näher erläutert wurden.

Neben erwarteten Einsparmaßnahmen ist es erfreulicherweise gelungen, auch einige positive Maßnahmen in das Sparpaket einzubauen, allerdings immer unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung von zusätzlichen Angeboten. So steht jeder Verbesserung immer eine Verschlechterung an anderer Stelle gegenüber.

Einige Sparmaßnahmen laufen unter dem Aspekt „Abbau von Parallelverkehren". Welche erheblichen Auswirkungen hinsichtlich zusätzlicher Umsteigezwänge und Verlängerung von Reisezeiten damit verbunden sind, wird an den folgenden Beispielen deutlich. So wird die Expressbus-Linie X 21 vom Märkischen Viertel kommend bereits am S- und U-Bahnhof Jungfernheide enden. Wer weiter in Richtung Westend oder Messegelände will, muss in die S-Bahn umsteigen, und wer zum Beispiel zur Deutschlandhalle möchte, muss nochmal innerhalb des S-Bahn-Netzes umsteigen. Dabei wird weiterhin jede zweite Busfahrt bereits am U-Bahnhof Jakob-Kaiser-Platz enden, eine Haltestelle vor dem eigentlichen Endpunkt am S- und U-Bahnhof Jungfernheide, der weiterhin nur alle 20 Minuten erreicht wird.

Anschlusslicht
In anderen Städten, wie hier in Freiburg, ist eine Anschlusssicherung zwischen Straßenbahn und Bus auch mit einfachen technischen Lösungen selbstverständlich. In Berlin gibt es zwar technisch sehr aufwändige Betriebsleitsysteme, aber eine Anschlusssicherung zwischen Straßenbahn und Bus ist nicht möglich: Die Fahrgäste, die ab Dezember zwischen Straßenbahn-Linie 52 und Buslinie 107 umsteigen müssen, werden dies bitter zu spüren bekommen. Foto: Matthias Horth

Die Buslinie 107 wird zukünftig bereits an der Hermann-Hesse-Straße enden, weder der S- und U-Bahnhof Pankow noch der Pastor-Niemöller-Platz, als zusätzlicher Umsteigepunkt zur dort verkehrenden Straßenbahn-Linie 53, werden erreicht. Hier ist also ein Umsteigen auf die Straßenbahn-Linie 52 angesagt, welche zusammen mit der Straßenbahn-Linie 53 auf einen 20-Minuten-Takt ausgedünnt wird. Als problematisch werden sich die bereits heute auftretenden erheblichen Verspätungen bei den aus der Innenstadt kommenden Straßenbahn-Linien erweisen. Für die zum Beispiel am S- und U-Bahnhof Pankow umsteigenden Fahrgäste in Richtung Norden drohen völlig unkalkulierbare Anschlüsse mit Wartezeiten im Einzelfall von deutlich über 20 Minuten. Die angekündigte Anschlusssicherung zur Buslinie 107 ist zu diesen Zeiten illusorisch und eine Anschlusssicherung über das Betriebsleitsystem ist nicht möglich, weil zwischen Bus- und Straßenbahncomputern kein Datenaustausch möglich ist. In einigen Fällen könnte die Buslinie 250 hier noch etwas retten, Fakt aber bleibt: Bequemer wird's nicht.

Neues Straßenbahn-Nordnetz

Neu geordnet wird das Pankower und Weddinger Straßenbahn-Netz. Eingestellt wird die bisher als Verstärkerlinie zur Straßenbahn-Linie 23 betriebene Straßenbahn-Linie 24, weil es die erwartete Verlagerung von Fahrgastströmen auf den S-Bahn-Nordring gab. Anstelle der aufgelassenen Straßenbahn-Linie 24 rollt auf dem „westlichen" Streckenabschnitt Richtung Virchow-Klinikum zukünftig die Straßenbahn-Linie 50 und wird dort das Taktangebot der Straßenbahn-Linie 23 verdichten. Außerhalb der Geschäftsöffnungszeiten wird die Straßenbahn-Linie 50 allerdings an der Björnsonstraße enden. Statt der Straßenbahn-Linie 50 verkehrt zukünftig die Straßenbahn-Linie 52 (gemeinsam mit der Straßenbahn-Linie 53) über die Schönhauser Allee in die Innenstadt zum Kupfergraben, die Straßenbahn-Linie 53 fährt während der Schwachverkehrszeiten jedoch nur bis zum Hackeschen Markt. Der somit ganztägig vorgesehene jeweilige 20-Min-Takt führt auf der Schönhauser Allee zu einer Angebotsreduzierung um 40 Prozent! Für die Außenäste nach Rosenthal und Nordend sind aufgrund der Taktausdünnungen während der Hauptverkehrszeit erhebliche Kapazitätsengpässe zu erwarten.

Straßenbahn mit einsteigenden Fahrgästen
Künftig müssen die Fahrgäste am Pasto-Niemöller-Platz länger auf die Linie 52 warten. Die Linie fährt zwar künftig bis zur Friedrichstraße aber leider nur noch alle 20 Minuten. Foto: Alexander Frenzel

Durch diese Linienänderungen im „Nordnetz" der Straßenbahn ergeben sich weitere Veränderungen im Innenstadtbereich. Die Linie 13 verkehrt ab Zionskirchplatz über Invalidenstraße bis zum Kupfergraben. Diese Linie behält vorerst ihren heutigen 15-Minuten-Takt. Die Straßenbahn-Linie 1 wird zum Hackeschen Markt zurückgezogen und verkehrt im Hauptlauf alle 20 Minuten bis nach Heinersdorf. Die Straßenbahn-Linie 1 E verkehrt alle 20 Minuten bis „Am Steinberg" und erhält in der Hauptverkehrszeit eine Taktverdichtung, so dass in der Prenzlauer Allee ein Taktgefüge von 7/7/6-Minuten entsteht. Nach Heinersdorf kommt es daher zu einer Angebotsreduzierung von 15 auf 20 Minuten.

Gleichzeitig wird die bislang von Buch durchgehend zur Weißenseer Spitze verkehrende Buslinie 158 nach Heinersdorf, Kirche zurückgezogen. Auch hier soll es einen Anschluss zwischen der Buslinie 158 und der Straßenbahn-Linie 1 geben. Ob dieser im harten Tagesgeschäft aber klappt, bleibt offen. Dass zusätzlich umgestiegen werden muss, ist Fakt. Im Tagesverkehr fährt die Buslinie 158 künftig analog zur Buslinie 155 zuerst nach Weißensee und weiter praktisch im Umkehrschluss ihrer bisherigen Linienführung über Parkstaße - Roelkestraße - Hosemannstraße - Grellstraße zum S-Bahnhof Prenzlauer Allee. Diese recht durchdacht wirkende Änderung musste von der BVG gegenüber dem Senat regelrecht erkämpft werden. Dort wollte man, dass der 158er bereits am Ostseeplatz endet, ohne Anschlussmöglichkeit zur S-Bahn oder zu anderen Verkehrsmitteln. Ein weiteres gutes Beispiel der „Sparen, koste es was es wolle"-Politik der Berliner Landesregierung. Glücklicherweise scheint wenigstens dieser Unsinn vom Tisch.

Verlängerte Expressbus-Linie X 69

Einen weiteren Schwerpunkt von Linienänderungen stellt der Raum Köpenick dar. Der Straßenbahn-Betrieb bleibt hier unverändert, im Busnetz gibt es folgende Neuerungen:

Die Buslinie 169 bleibt in ihrem Grundgefüge zwar unverändert, wird aber generell auf den 20-Minuten-Takt ausgedünnt. Ersatz gibt es aber durch Überlagerungen durch die veränderten Linien X 69 und 269. Der X 69 fährt statt zum Müggelschlösschenweg über die Salvador-Allende-Straße - Müggelheimer Damm nach Alt-Müggelheim. Er ergänzt somit den 169er zwischen S-Bahnhof Köpenick und Alt-Müggelheim im Tagesverkehr alle 20 Minuten unter Umgehung der Köpenicker Altstadt und ohne Halt zwischen Krankenhaus Köpenick und Alt-Müggelheim, Ludwigshöhenweg. Die neue Buslinie 269 fährt im werktäglichen Tagesverkehr alle zehn Minuten vom S-Bahnhof Köpenick über die bislang durch die Buslinie 360 bediente Friedrichshagener Straße zum Müggelschlösschenweg. In der HVZ beginnt diese Linie bereits am U-Bahnhof Elsterwerdaer Platz und fährt alle 20 Minuten über die Heese- und Heerstraße weiter wie die Stammlinie 169 zum S-Bahnhof Köpenick. Der bisherige 10-Minuten-Takt der Buslinie 169 bis S-Bahnhof Kaulsdorf wird somit lediglich in der Hauptverkehrszeit zwischen Heese-/Chemnitzer Straße und S-Bahnhof Köpenick gemeinsam durch die Linien 169/269 beibehalten. In den übrigen Zeiten, und nördlich der Chemnitzer Straße generell, wird die Fahrtenhäufigkeit schlicht halbiert.

Bus
Erfreulich ist die Verlängerung der Linie 893 von Buch über die Siedlung Wartenberg bis zum Linden-Center am Preower Platz. Foto: Alexander Frenzel

Ausgeweitet wird das Angebot lediglich zwischen Alt-Müggelheim und Odernheimer Straße. Statt alle Stunde wird dort künftig alle 40-Minuten gefahren (In der HVZ statt alle 30 nun alle 20 Minuten). Der Abschnitt nach Gosen bleibt in seiner Fahrtenhäufigkeit unverändert. Auf Grund der Leistungsausweitung zur Odernheimer Straße mit allen Kursen der Linie 169 in der Hauptverkehrszeit ist es für diese Tageszeiten erforderlich, den Abschnitt zwischen Alt-Müggelheim und Gosen durch eine gesonderte Linie 369 zu bedienen. Diese Linie hat alternierend Anschluss an die Linie X 69 oder 169 und verkehrt daher im krummen 25/35-Minuten-Takt. In allen anderen Bedienungszeiträumen bleibt die stündliche Durchbindung mit der Buslinie 169 unverändert bestehen. Problematisch könnte sich an Ausflugswochenenden die beschleunigte Linie X 69 erweisen. Ein Zwischenhalt in Rübezahl und Müggelseeperle müsste bei Bedarf kurzfristig eingelegt werden, um zu vermeiden, dass halbleere Busse an vollen Haltestellen mit wartenden Fahrgästen planmäßig vorbeifahren.

Die Buslinie 360 fährt künftig über die Wendenschloßstraße zum Müggelschlösschenweg. Fahrgästen aus dem Raum Adlershof bleibt aber die Möglichkeit erhalten, die Köpenicker Bahnhofstraße mit den Straßenbahn-Linien 60 und 63 zu erreichen.

Noch ein Präzedenzfall: 30-Minuten-Takt

Kompliziert gestaltet sich auch die Führung der Buslinie 131 in Spandau. Der ursprüngliche Plan der BVG, zum vergangenen Fahrplanwechsel, die Buslinie 131 statt zum Heidebergplan in Richtung Falkenhagener Feld zu führen, scheiterte am Widerstand aufgebrachter Staakener Bürger, die mit lokalpolitischer Unterstützung durchsetzen konnten, dass ihr 131er weiterhin zwingend die Sackgassen-Haltestelle Heidebergplan anfahren muss, obwohl im fußläufigen Umkreis weitere Haltestellen zur Verfügung stehen. Nun kommt die Retour-Kutsche der BVG. Der 131er teilt sich nun am Klosterbuschweg/Torweg in zwei Äste. Zum einen wird den politischen Auflagen folgend zum Heidebergplan gefahren und zum anderen direkt ohne Umweg über die Gartenstadt ins Falkenhagener Feld, Im Spektefeld. Die Folge aber ist, dass die im 15-Min-Takt verkehrende Linie die einzelnen Äste nunmehr lediglich alle 30 Minuten bedient. Abgesehen davon, dass hier auch schleichend ein Einstieg ins 30-Minuten-Takt-Netz geprobt werden könnte, stellt sich die Frage, ob den ins Falkenhagener Feld fahrenden Fahrgästen eine derartige Verschlechterung zugemutet werden darf, nur damit an anderer Stelle niemand 200 Meter weiter zu laufen braucht, der aber offensichtlich über bessere politische Verbindungen verfügt? Als sinnvoller Kompromiss böte sich eine Führung der Buslinie 131 mit allen Fahrten alle 15-Minuten über Torweg - Hackbuschstraße - Seegefelder Weg, ohne Schlenker über den Heidebergplan, zur Endstelle Im Spektefeld an.

Verbesserungen am nordöstlichen Stadtrand

Echte Angebotsverbesserungen stellen mehrere Maßnahmen am nordöstlichen Stadtrand dar: Zum einen wird die Buslinie 893 der Barnimer Busgesellschaft (BBG) über die Siedlung Wartenberg hinaus zum Prerower Platz verlängert und stellt somit wieder eine umsteigefreie Verbindung zwischen Buch und Hohenschönhausen her. Der von dieser Linie somit nicht mehr bediente Abschnitt zwischen S-Bahnhof Ahrensfelde und Mehrow bzw. Eiche wird im Auftrag der BBG wieder wie einstmals von der BVG mit einer neuen Buslinie 390 übernommen, allerdings im BBG-Takt, also ca. alle 2-Stunden oder irgendwann mal.

Zum anderen endet die Buslinie 251 künftig nicht mehr in Buchholz Kirche, sondern fährt über die Triftstraße direkt ins neue Zentrum von Französisch-Buchholz, um an der Aubertstraße zu enden. Keine wesentliche, aber eine grundsätzlich richtige Maßnahme. Außerdem wird die Buslinie 351 direkt durch das Gelände der Robert-Rössle-Klinik fahren und damit das Gelände besser für Fahrgäste erschließen.

Darüber hinaus wird es noch kleinere Einsparmaßnahmen bei den Buslinie 100, 115, 118,180,155 und 391 geben. Kritisch sehen wir die Reduzierung der Fahrten auf der Buslinie 165 zwischen S-Bahnhof Schöneweide und Oberspree auf die Hauptverkehrszeit. Fahrgästen aus dem Raum Johannisthal in Richtung Niederschöneweide wird damit ein sehr langer Umsteigeweg zwischen der Bus-Endstelle auf der westlichen Bahnhofsseite zu der weiterführenden Buslinie 167 östlich des Bahnhofs zugemutet.

Auch wenn es nicht ausschließlich negative Änderungen zum kommenden Fahrplanwechsel im BVG-Verkehr geben wird: Die Mehrzahl der geplanten Linienänderungen wird für einen Teil der Fahrgäste zu mehr oder weniger heftigen Nachteilen führen. Insbesondere die immer häufigeren Umsteigezwänge sind bei den hier umgesetzten, von der Politik geforderten Maßnahmen unvermeidlich und damit erschwerend für den Fahrgast. Es zeigt sich aber auch, dass die Verkehrsplaner der BVG durchaus versuchen, mit den Sparmaßnahmen so wenige Fahrgäste wie möglich zu treffen und bei Einzelmaßnahmen wenigstens für einzelne Fahrgäste noch Vorteile entstehen zu lassen. In einer Zeit, in der ÖPNV von Politikern scheinbar nur noch als eine Haushaltsbelastung gesehen wird und der Wert für die Umwelt, Lebensqualität und kostensparender Straßenentlastung offensichtlich keine Rolle mehr spielt, sind die genannten Linienmaßnahmen insgesamt vielleicht noch als akzeptabel zu bewerten.

Gleichwohl bleibt bei immer weitergehenden Kürzungen die angstvolle Frage: Wie weit soll eigentlich gespart werden? Soll es neben S- und U-Bahnen überhaupt noch einen halbwegs attraktiven ÖPNV geben? Wer erklärt eigentlich all den gehbehinderten und gebrechlichen Menschen, von denen es viele in dieser Stadt gibt, dass ihr Bus zu ihrem Einkaufszentrum oder zum Arzt nicht mehr oder nur noch manchmal fährt und sie ja schließlich die 500 Meter zur U-Bahn laufen können? Es ist Zeit, die Verkehrspolitik dieser Landesregierung mehr als in Frage zu stellen.

IGEB Stadtverkehr

aus SIGNAL 6/2003 (Dezember 2003/Januar 2004), Seite 16-18

 

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