Berlin

DAISY hatte Geburtstag - und expandiert

Schnell die Treppe runter auf den U-Bahnsteig. Wenig Zeit heute. Ein Glück: Osloer Straße in 1min meldet in seiner eigenwilligen Rechtschreibung DAISY, das Dynamische Auskunfts- und Informationssystem der Berliner U-Bahn.

DAISY hat viel Geld gekostet. Und auf zahlreichen Bahnhöfen sind die Schäden, welche die Installation der „Displays" und der notwendigen Kabelstränge an Stützen, Wänden oder Decken verursacht hat, bis heute gut sichtbar. Doch dafür haben wir auch etwas bekommen: Seit am 20. August der 764. Zugzielanzeiger ans Netz ging, „wird jetzt auf allen Berliner U-Bahnhöfen die tatsächliche Abfahrtszeit der U-Bahn angezeigt", erklärt die Kundenzeitschrift „BVG plus".

Und da blinkt auch schon die Angabe „Osloer Straße". Das heißt: Bitte einsteigen, der Zug steht abfahrbereit an der Bahnsteigkante. Doch leider ist von ihm weit und breit weder etwas zu sehen noch wenigstens zu hören. Während die obere Zeile auf der Tafel davon unbeeindruckt vor sich hinblinkt, läuft bei der unteren, ebenso konsequent, der Countdown: „in 3min", „in 2min", „in 1min"

DAISY Anzeiger in der U-Bahn
Unterwegshalte und Umsteigehinweise schafft Daisy nicht, dafür, stattdessen gibt es Eigenwerbung und Hinweise auf die Beförderungsbestimmungen. Foto: Frank Böhnke

Als diese „tatsächliche Abfahrtszeit" des übernächsten Zuges annonciert wird, kommt jener Zug in den Bahnhof gefahren, den DAISY schon seit drei Minuten dort wähnte. Und kurz darauf blinken beide Zeilen gleichzeitig, laut DAISY befinden sich nun also zwei Züge auf demselben Gleis!

So hat sich das zugetragen am 2. Oktober um 16.02 Uhr auf dem U-Bahnhof Rathaus Steglitz. Aber eigentlich spielen Zeit und Ort keine Rolle, denn der Erfahrung zufolge passiert derlei bestimmt jeden Tag viele Male im Berliner U-Bahn-Netz. Dort gibt es DAISY nun schon über vier Jahre. Und keiner der rasch von der Öffentlichkeit konstatierten Mängel hat seither eine erkennbare Verbesserung erfahren. Mag die Welt sich auch ändern, DAISY bleibt eigenwillig, einfarbig, bestenfalls mäßig gut zu entziffern, allerdings auch nur von sehr begrenztem Informationswert - die Anzeige wichtiger Unterwegshalte beispielsweise scheint unmöglich. Wie man sieht, hat man DAISYs Software ja noch nicht mal beibringen können, wie unwahrscheinlich es zumindest bei der Berliner U-Bahn ist, dass zwei Züge zur selben Zeit an der selben Bahnsteigkante stehen. Und dann auch noch gleichzeitig losfahren.

DAISYs Informationen entstammen eben häufig mehr einer ganz eigenen, virtuellen Welt als unserer Realität. Manche vermuten schon, DAISY komme aus der gleichen Werkstatt, in der auch das System für die deutsche Autobahnmaut zusammengebastelt wurde. Dabei kann man immerhin an ungewöhnlichen Abständen zwischen zwei annoncierten Zügen („in 8min") erkennen, wieviel Verspätung wieder mal entstanden ist.

Mögen die Kassen der BVG auch gähnend leer sein, soviel Spaß soll nicht den U-Bahn-Fahrgästen allein vorbehalten bleiben: „DAISY gibt's bald ,oben' und ,unten'", meldet „BVG plus". Längst sind die Arbeiten angelaufen, damit man spätestens Anfang 2004 auch an vielen Straßenbahn- und Bushaltestellen in bekannter Weise die „tatsächliche Abfahrtszeit" erfahren kann. Wenn das keine gute Nachricht ist.

Jan Gympel

aus SIGNAL 6/2003 (Dezember 2003/Januar 2004), Seite 22

 

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