Fernverkehr

Ostbahnhof verliert wichtige Fernzughalte

Bahnhof Zoo gewinnt an Bedeutung – für Fernbusse

Die Berliner Stadtbahn durchquert die Stadt seit 1882. Sie war Jahrzehnte der Berliner „Hauptbahnhof”, denn auf ihr wurden die Nah- und Fernzüge gebündelt und brachten ihre Fahrgäste direkt ans Ziel. Ostbahnhof, Alexanderplatz, Friedrichstraße und Zoologischer Garten – sie alle waren einst Teil dieses „Hauptbahnhofs”. Alle Züge befuhren die Stadtbahn komplett und endeten, wenn sie von Osten kamen, im Bahnbetriebswerk in Grunewald und von Westen kommend in Rummelsburg.

Nach der deutschen Wiedervereinigung entstanden ehrgeizige Bahnprojekte. Umstritten war vor allem die Frage, ob der Fernverkehr auch künftig über die Stadtbahn abgewickelt wird oder die Ringbahn zu diesem Zweck ausgebaut wird. Durchgesetzt hat sich das sogenannte Pilzkonzept. Ein neuer Tunnel wurde das Nord-Süd-Äquivalent zur in West-Ost-Richtung verlaufenden Stadtbahn. Die Stadtbahn selbst bildet die Krempe und der nördliche Innenring den „Hut” des Pilzes. Das alte Konzept der Stadtbahn wurde aufgegriffen, es war kein Hauptbahnhof, sondern eine Lastverteilung auf mehrere Halte und einen zentralen Kreuzungsbahnhof geplant. Papestraße, Lehrter Bahnhof, Gesundbrunnen, Ostbahnhof und Zoologischer Garten sowie ergänzend Spandau sollten künftig dem Fernverkehr dienen. Zunächst aber wurde die Stadtbahn saniert und nahm ab 1998 den Großteil des Fernverkehrs auf. Schönefeld und Lichtenberg ergänzten das Angebot, während der Bau des Bahnknotens Berlin langsam Formen annahm.

Bahnsteig
Noch beginnt die ICE-Linie 10 nach Köln/Bonn in Berlin Ostbahnhof. Foto: Tom Gerlich

2006 wurde zum großen Berliner Bahnjahr. Ende Mai sind zusammen mit dem neuen Nordsüdtunnel die neuen Fernbahnhöfe Gesundbrunnen, Papestraße – umbenannt in Südkreuz – und der Lehrter Bahnhof – nach heftigen Diskussionen umbenannt in Hauptbahnhof – eröffnet worden. Aber entgegen der Pilzkonzept-Planungen halten die Fernzüge auf der Stadtbahn seither nicht mehr im Bahnhof Zoologischer Garten. Dem Ostbahnhof blieb dieses Schicksal aus betrieblichen Gründen bisher erspart, denn mit seinen fünf flexibel nutzbaren Bahnsteiggleisen bietet er die nötige Kapazität für endende Fernzüge.

Aber bereits 2006 gab es die Überlegung, den Großteil des Fernverkehrs durch den neuen Tunnel abzuwickeln und die Stadtbahn im Wesentlichen nur noch für den Regionalverkehr zu nutzen. Die Idee scheiterte vor allem an der fehlenden Dresdener Bahn im Süden und der Lage des ICE-Werks am östlichen Ende der Stadtbahn in Rummelsburg.

Für den Jahresfahrplan 2016 stehen nun knapp 10 Jahre später mit der Eröffnung der Neubaustrecke zwischen Halle und Erfurt erneute Veränderungen im Fernverkehr bevor. Neu eingerichtet wird beispielsweise eine ICE-Sprinterlinie 15 Berlin—Erfurt—Frankfurt am Main mit 6 Zugpaaren am Tag, die im Berliner Hauptbahnhof unten startet. Die ICE-Linien 11 und 12 nach Frankfurt am Main verkehren allerdings (zumindest vorerst) weiterhin über die Stadtbahn und starten bzw. enden am Ostbahnhof.

Nicht mehr über die Stadtbahn soll dagegen die ICE-Linie 10 fahren, die Berlin mit Hannover, dem Ruhrgebiet und Köln verbindet. Auslöser ist, dass das Land Berlin und der VBB die RB 14 Nauen—Stadtbahn—Flughafen Schönefeld künftig um 10 Minuten versetzt fahren lassen wollen, um auf dem Abschnitt Stadtbahn—Flughafen Schönefeld zusammen mit dem RE 7 einen glatten 30-Minuten-Takt anbieten zu können. Heute fahren die Züge im 20-40-Minuten-Takt.

Doch die neue Taktlage führt zu einzelnen Trassenkonflikten mit der ICE-Linie 10. Zwar fahren deren Züge alle zeitglich in Hannover ab, doch je nachdem, ob sie in Wolfsburg halten oder durchfahren, kommen sie zu unterschiedlichen Zeiten in Spandau an, während die RB 14 immer zur selben Zeit fahren soll. Ein durchaus lösbares Problem, doch für die Deutsche Bahn ist damit der Vorwand gefunden, um diese ICE-Linie von der Stadtbahn zu nehmen und so auch die Diskussion um deren Halt am Bahnhof Zoologischer Garten zu beenden. Die betrieblichen Nachteile dieser Veränderung sind für die Deutsche Bahn allerdings erheblich, da die im Hauptbahnhof (unten) endenden Züge dort die Fahrtrichtung wechseln und als Leerfahrt über den östlichen Innenring zum ICE-Werk in Rummelsburg fahren müssen.

Die betrieblichen Nachteile sind allerdings gering gegenüber den Nachteilen für die Fahrgäste, denen der Fernverkehrshalt am Ostbahnhof genommen wird. Denn nach dem Halt in Spandau – hoffentlich mit bahnsteiggleichem Anschluss zur RB 14 – sollen die Züge der ICE-Linie 10 ab dem Fahrplanwechsel im Dezember 2015 nun über den nördlichen Innenring zum Hauptbahnhof (tief) verkehren, um dort zu enden. Der dritte Halt in Berlin, der wegen der Erschließungswirkung bei jeder ICE-Linie eigentlich entweder am Ostbahnhof oder Südkreuz stattfinden soll, entfällt für die Linie 10 dann! Damit wird erneut mit dem Pilzkonzept gebrochen – ein klarer Nachteil für viele Fernverkehrskunden.

Ohne die Halte der ICE-Linie 10 am Ostbahnhof verlieren vor allem die Fahrgäste aus dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg einen erheblichen Teil des wohnortnahen Fernzugangebotes.

Karte
Das „Pilzkonzept“ für die Bahnstrecken in Berlin sah mehrere Fernbahnhalte vor, darunter Bf. Zoo und Ostbahnhof. Abb: DB Projekt, Nov. 2001

Offensichtlich verkennt der Konzern Deutsche Bahn nach wie vor die Situation im Fernverkehr und meint, als Alt-Monopolist dem Fahrgast seinen Start, möglichst am Hauptbahnhof, vorschreiben zu können, statt ihn dort abzuholen, wo es sinnvoll ist. Insbesondere die Sturheit beim Bahnhof Zoologischer Garten ist unverständlich, denn nicht nur zum Hauptbahnhof, sondern auch zum Zentralen Omnibusbahnhof am Kaiserdamm sind es von dort aus mit der U 2 „nur“ 7 Minuten Fahrzeit.

Schon heute sind der Ostbahnhof und der Bahnhof Zoologischer Garten wichtige Halte für Fernbusse. So kann man vom Hardenbergplatz, dem Vorplatz des Bahnhofs Zoo, zum Beispiel mit den Postbussen Bremen, Hamburg, Dresden, Frankfurt am Main, Köln, Düsseldorf, München und Zürich erreichen, während Fernzüge diesen Bahnhof ohne Halt durchfahren. Der Postbus nutzt also genau diese bahnseitigen Angebotsmängel bzw. Managementfehler aus.

Wie viele Fernverkehrskunden muss die DB noch verlieren, um zu erkennen, dass für die Reisezeit nicht nur die reine Fahrzeit ihrer Fernzüge, sondern auch die Anreisezeit der Fahrgäste zum Fernbahnhof entscheidend ist?

Übrigens: Verlieren wird der Ostbahnhof den ICE-Verkehr bereits ab 28. August – für drei Monate sogar vollständig. Denn wegen der Bauarbeiten an den Brücken am Hauptbahnhof kann in dieser Zeit kein einziger Fernzug über die Stadtbahn fahren. (ge)

Berliner Fahrgastverband IGEB

aus SIGNAL 2/2015 (April/Mai 2015), Seite 24

 

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