Baureihe J

Endlich neue U-Bahn-Züge für Berlin

Nach jahrelangen Verzögerungen, verursacht durch eine überzogene Sparpolitik des Berliner Senats, eine verschleppte Ausschreibung und gerichtliche Auseinandersetzungen ist es nun soweit: Die BVG konnte Ende März 2020 die Bestellung für bis zu 1500 neue Wagen für die Berliner U-Bahn bei dem Schweizer Unternehmen Stadler auslösen, nachdem das Berliner Kammergericht einen Einspruch gegen ein Nachprüfungsverfahren des in der Ausschreibung unterlegenen Wettbewerbers Alstom in letzter Instanz zurückgewiesen hat.

Designvorschlag JK
Die Abbildungen zeigen erste Designvorschläge von Stadler für die nun endlich bestellten neuen U-Bahn-Züge der Baureihen J/JK. Insbesondere bei den Großprofilzügen fällt negativ auf, dass nur noch wenige Fenster vorgesehen sind. Grafik: Stadler Rail
Designvorschlag J
Die Abbildungen zeigen erste Designvorschläge von Stadler für die nun endlich bestellten neuen U-Bahn-Züge der Baureihen J/JK. Insbesondere bei den Großprofilzügen fällt negativ auf, dass nur noch wenige Fenster vorgesehen sind. Grafik: Stadler Rail

Der im Ausschreibungsverfahren unterlegene Wettbewerber Alstom hatte zunächst gegen die im Mai 2019 durch die BVG erfolgte Vergabe an die Schweizer Firma Stadler bei der Vergabekammer Berlin Einspruch eingelegt, der im Juni 2019 aber abgelehnt wurde. Daraufhin reichte Alstom Klage beim Berliner Kammergericht ein, die am 20. März abschließend und in letzter Instanz abgelehnt wurde.

Damit ist nun endlich der Weg frei für die größte zusammenhängende Fahrzeugbeschaffung, die es bei der BVG und vielleicht sogar europaweit überhaupt je gab. Bis zu 1500 U-Bahn-Fahrzeuge mit einem Gesamtvolumen bis 3 Mrd Euro für Klein- und Großprofil (Baureihe J/JK) können beschafft werden. Auch eine Ersatzteilversorgung für den Zeitraum der nächsten 32 Jahre wurde vertraglich geregelt.

Bestandteil des Rahmenvertrages ist eine feste Mindestbestellmenge von 606 Wagen im Wert von ca. 1,2 Mrd Euro, die in einem ersten Abruf für 376 Wagen für das Klein- und Großprofil ab 2022 von Stadler in Pankow produziert werden sollen. Zu einem späteren Zeitpunkt können die restlichen 230 Wagen, die ebenfalls fest bestellt sind, abgerufen werden. Schließlich besteht noch die Möglichkeit weitere 896 Wagen aus dem Rahmenvertrag abzurufen.

Mit den Neubaufahrzeugen der Baureihen J/JK sollen schrittweise alle Fahrzeuge der Baureihen A3/A3L und G (Kleinprofil) und F (Großprofil) ersetzt werden. Bei Inanspruchnahme aller Optionsrechte aus dem mit Stadler abgeschlossenen Vertrag würde somit der Fahrzeugbestand bei der Berliner U-Bahn deutlich steigen: Bisher ist für das ursprünglich vom Senat bestellte Fahrplanangebot (das allerdings seit 2018 durch diverse Taktausdünnungen in der Hauptverkehrszeit schon längst nicht mehr gefahren werden kann und weiterhin durch permanente Zugausfälle geprägt ist) der Einsatz von 930 Wagen erforderlich. Nach vollständiger Beschaffung der Baureihe J/JK würde damit der U-Bahn-Fahrzeugbestand auf ca. 1650 Wagen (allerdings inklusive einer Werkstattreserve, die für Neufahrzeuge i. d. R. mit 10 bis 12 Prozent des Fahrzeugparkes kalkuliert wird) anwachsen. Insofern bietet der jetzt mit Stadler geschlossene Rahmenvertrag die Voraussetzungen für deutliche und nach der Coronakrise auch wieder dringend gebotene Taktverdichtungen auf fast allen Linien im Berliner U-Bahn-Netz.

Zunächst Großprofilfahrzeuge bauen!

Ursprünglich sollten die ersten Fahrzeuge 2021 geliefert werden, nun ist wohl erst 2022 mit ersten Auslieferungen und voraussichtlich 2023 mit Einsätzen im Fahrgastverkehr zu rechnen. Obwohl im Kleinprofilnetz zurzeit die ältesten, z. T. bis zu 55 Jahre alten Fahrzeuge unterwegs sind, sieht die IGEB den dringendsten Beschaffungsbedarf bei den Großprofilfahrzeugen. Die Züge der maroden Baureihe F79 sind inzwischen fast vollständig abgestellt und werden durch die auf der U 5 eingesetzten IK-Züge, die provisorisch für den Einsatz im Großprofilnetz angepasst wurden, nur unbefriedigend ersetzt. Denn deren Platzkapazität ist gegenüber den H-Zügen um etwa 15 Prozent niedriger, was bei normaler Fahrgastnachfrage zu völlig überfüllten Zügen führt. Die zurückgebauten IK-Züge können dann die Fahrzeuglücken im Kleinprofilnetz füllen.

Die Fahrzeuge der Baureihen J und JK werden technisch an die ebenfalls von Stadler hergestellte Baureihe IK anknüpfen. Beschafft werden für das Klein- und Großprofil 2- und 4-Wagenzüge, so dass die Zuglänge zukünftig wieder leichter der tatsächlichen Fahrgastnachfrage z. B. in Schwachverkehrszeiten angepasst werden kann. Aber es wird bei den Kleinprofilwagen eine wesentliche Änderung geben: Zugunsten eines (zumindest etwas) höheren Sitzplatzanteils wird es pro Wagen nur noch 2 Türen je Wagenseite geben. Die Türbereiche sollen allerdings durch veränderte Türsäulen eine verbesserte Einstiegssituation ermöglichen. Zudem ist laut Stadler vorgesehen, die Informationsbildschirme aus dem Türbereich in den gewölbten Übergang zwischen Seitenwand und Decke zu verlegen. Es bleibt zu hoffen, dass dadurch gegenüber der doch wenig gelungenen und trotz Wagenkastenverbreiterung auf 2,40 m eng wirkenden Innenraumgestaltung der Baureihe IK für die Nachfolgebaureihe eine ansprechendere Gestaltung und vor allem eine deutlich verbesserte Durchsicht durch den gesamten Fahrzeuginnenraum erreicht werden kann.

Fahrgäste wollen Ausblick

Falls die ersten von Stadler veröffentlichten Designentwürfe umgesetzt werden sollten, werden die Fensterflächen allerdings deutlich verkleinert. So soll es in den Großprofil- Mittelwagen je Wagenseite nur noch zwei (!) Fenster pro Wagen geben, während z. B. bei der zuletzt gebauten Großprofilserie H in den Mittelwagen immerhin sechs Fenster je Wagenseite den Fahrgästen einen Blick nach außen ermöglichen. Aus Fahrgastsicht wäre dies sehr ärgerlich, weil der Blick nach draußen nur noch wenigen direkt in den Fensterbereichen Sitzenden vorbehalten bleibt, obwohl der Blick nach draußen bei der Berliner U-Bahn nicht nur auf den Hochbahnstrecken durchaus lohnt – schließlich sind ja inzwischen die Hälfte aller U-Bahnhöfe unter Denkmalschutz gestellt worden.

IGEB Stadtverkehr

aus SIGNAL 2/2020 (Juni 2020), Seite 20

 

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